Blick ins Buch: Leseproben aus dem Buch Irgendwann
Vorwort
Dieses Buch ist eine Reise durch Gedanken und Landschaften, ein Tagebuch, das Momente festhält – große und kleine, lichtvolle und nachdenkliche. Kein Roman, kein gewöhnlicher Reisebericht, sondern genrefrei. Es ist ein Protokoll des Wagnisses, aus dem Gewohnten auszubrechen.
Ich lade dich ein, dieses Buch auf deine Weise zu lesen – vielleicht in einem Zug, vielleicht kapitelweise, oder einfach nur, um immer wieder darin zu blättern und dich inspirieren zu lassen. Es gibt hier kein festes Ziel, keine starre Form, dafür die Einladung, innezuhalten, zu reflektieren und die Reise zu genießen – mit all ihren Facetten. Jeder Tag auf dieser Reise brachte neue Gedanken, Fragen und Eindrücke mit sich, die ich in Worte gefasst habe – mal leicht, mal nachdenklich, oft irgendwo dazwischen.
Musik war ein ständiger Begleiter auf dieser Reise; du findest daher eine Playlist am Ende des Buches. In meinem Herzen steckt der Traum, eine Liedermacherin zu sein, auch wenn ich keine geworden bin. Stimmungen in kurze Verse packen, Gedankenfragmente, angedachte Gefühle.
Ich glaube fest daran, dass ein Buch den richtigen Zeitpunkt findet, um einen Menschen im passenden Moment zu erreichen. Manchmal wartet es geduldig, auch mal mehrere Jahre. Oder der Mensch nimmt es zur Hand, wenn dieser Moment gekommen ist? Vielleicht ist es jetzt so weit. Lass dich treiben und entdecke, was in diesen Seiten für dich verborgen liegt.
Der Duft von Freiheit
19:46 Uhr, Cayeux-sur-Mer, Picardie, Frankreich
Ich sitze in der offenen Tür meines kleinen Teardrop-Anhängers und blicke aufs Meer. Der Wind begrüßt mich wie ein alter Freund, als wolle er mich in diesem neuen Lebensabschnitt willkommen heißen. In meinem Kopf herrscht ein seltsames Gleichgewicht – Stille und Gedanken haben sich arrangiert. Die Wellen rollen gleichmäßig an den Strand, und aus dem Lautsprecher erklingt leise Reinhard Mey. Seine Worte durchziehen meine Gedanken: „Was keiner wagt …“ – eine Melodie, die nach neuen Wegen sucht, während das Meer seinen eigenen Rhythmus schlägt. Kein Plan, kein Ziel – nur ich, die Musik und die Weite vor mir.
Reinhard Mey fordert dazu auf, mutig zu sein – Dinge zu tun, die andere nicht wagen; Gedanken zu denken, die unbeachtet bleiben. Für mich sind das nicht nur Worte, sondern eine Einladung, das Leben in seiner ganzen Tiefe zu erleben.
Ich schließe die Augen, spüre die sanfte Berührung des Windes auf meiner Haut, und ein wohliges Kribbeln breitet sich aus. In meinem Inneren sitzen Leere und Fülle nebeneinander, wie zwei Kinder, die mit den Beinen baumeln. All die Überforderung der letzten Jahre fällt ab. Kann das wahr sein?
Ich schaue hinaus aufs Wasser. Ich bin keine Aussteigerin auf Weltreise, nur ein paar Wochen in Frankreich – doch es ist meine bisher längste Reise. Jeder Kilometer bringt nicht nur neue Orte, sondern auch neue Erkenntnisse. Meine Augen klammern sich an den Horizont, um nicht den Halt zu verlieren. Der Kopf ist leer, und ich bin erschöpft von der langen Fahrt und den vielen Eindrücken. Ich versuche mich zu erinnern, welcher Moment in meinem ‚alten Leben‘ das Fass zum Überlaufen brachte, doch es war nicht eine einzelne Situation. Ein großer Teil davon war das Gefühl, eine Hochstaplerin zu sein. Kennst du dieses Phänomen? Jedes Mal, wenn ich Erfolg hatte, fühlte es sich an, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis jemand merkt, dass ich ihn nicht wirklich verdient habe. Lange war mir nicht bewusst, dass so viele Menschen genau dasselbe fühlen, ohne je darüber zu sprechen. Aber in mir gibt es eine leise Ahnung, die mich leitet – die Vorstellung von einem Leben, in dem Selbstbewusstsein und Wohlfühlen nicht nur entfernte Ziele, sondern mein tägliches Fundament sind.
Heute Morgen habe ich den Start gewagt, ganz ohne zu zögern. Beinahe so, als würde ich nur kurz wegfahren. Die Zweifel und Überlegungen, die mich in den Wochen zuvor begleitet hatten, waren plötzlich verschwunden. Für manche mag das kein großer Schritt sein, doch für mich ist es bedeutsam.
Die Hose, die ich trage, hat große Löcher. Darunter lugt meine Haut hervor, die in diesem Jahr noch nicht viel Sonne gesehen hat. Unwillkürlich denke ich an das Lied von Udo Jürgens, in dem er singt, dass er noch nie in zerrissenen Jeans durch San Francisco gegangen ist. Nalas Fell streift meinen Oberschenkel.
Es ist dieses bewusste Wahrnehmen, das Beobachten von etwas, das nicht neu ist und doch bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Seit meinem Ausstieg hat sich vieles verändert. Mensch-en, die mich nicht kennen, wissen vielleicht nicht, was ich als „meinen Ausstieg“ bezeichne – es geht um das bewusste Verlassen alter Gewohnheiten und Kompensationsmuster, die mich nicht weiterbrachten, und schließlich auch um eine konsequente berufliche Veränderung.
Manchmal fühlt sich alles fremd an, obwohl es genau das ist, was ich mir immer gewünscht habe. Früher hätte ich gezögert, hätte Entscheidungen bis zum letzten Moment hinausgezögert. Heute gehe ich einfach los, spüre den festen Boden unter meinen Füßen, fühle, wie sich die Angst in meinem Magen auflöst. Mit jedem Schritt wird mein Atem ruhiger, mein Kopf klarer. Die alten Zweifel sind da, ja – aber sie sind leiser geworden, wie ein Echo in der Ferne. Es fühlt sich nicht mehr ganz so an, als würde man sich der Gesellschaft zum Fraß vorwerfen.
Doch diese neu gewonnene Freiheit, so erfüllend sie auch ist, bringt ungewohnte Herausforderungen mit sich. Plötzlich finde ich mich mit meinen tiefsten Ängsten konfrontiert. Das ikonische Lied von Udo Jürgens besingt den Wunsch nach einem Neuanfang und hat mit diesem Lebensgefühl mehr als eine Generation geprägt. Veröffentlicht im Jahr 1982, als ich noch gar nicht geboren war, erinnert es mich immer wieder daran, dass ich viele unerfüllte Träume habe und dass ich mich früher mit jeder Entscheidung weiter von dieser Sehnsucht entfernte.
Bohnerwachs oder San Francisco?
Bis heute sehnen sich viele Menschen danach, aus der Enge und Spießigkeit ihres Alltags auszubrechen. Doch nur wenige wagen diesen Schritt, was ich aufgrund familiärer und finanzieller Verpflichtungen sehr gut nachvollziehen kann.
Die gute Nachricht: Eine innere Reise ist immer möglich. Zu jeder Zeit und an jedem Ort kann sie beginnen. Wünschenswert wäre es, wie Heidegger einst sagte, sich eine Lichtung zu schaffen, in der das Sein sich ereignen kann. Warst du schon einmal auf einer solchen Lichtung?
In mir wuchs der unbändige Wunsch, einfach davonzurennen – ohne erst einen ordentlichen Abschluss zu finden oder aufzuräumen, sondern leise und heimlich zu verschwinden. Doch ich wusste, dass eine Flucht für mich nicht infrage kommen würde. Für mich geht es darum, mich aus ungünstigen Umständen zu emanzipieren, um nachhaltiges Bewusstsein zu erlangen und meinen Werten treu zu bleiben.
Wer diesen Pfad betritt, macht sich bereit für eine längere Reise. Es gibt keine Abkürzungen, kein Entkommen. Jeder Schritt, den ich ging, brachte neue Erkenntnisse, und ich spürte, wie sich mein Leben langsam, aber sicher veränderte.
Mein Blick ist leer. Ich starre vor mich hin, reibe mir die Augen, gähne und starre weiter. Nun sitze ich hier am Meer und spüre, dass ich wirklich frei bin. Nicht durch Flucht, nicht durch Weglaufen, sondern durch jeden einzelnen Schritt, den ich aus dieser Spirale herausgetreten bin.
Eine Melodie aus Hannes Ringlstetters Lied „A Ruah!“ steigt in mir auf, und ich summe sie leise vor mich hin: „… ohne Scheiß, i bin so frei, wie’s letzte Mal als Kind.“ Sie erinnert mich daran, dass es einen Unterschied macht, sich bloß für einen Moment frei zu fühlen oder es wirklich zu sein. Mit dem Wind im Gesicht spüre ich die Freiheit – so greifbar, so unbeschwert, als wäre sie mir jetzt, nach all der Zeit, wirklich geschenkt.
Und plötzlich denke ich daran, wie leicht und gesund das Leben als Kind gewesen ist. Damals, als es nur drei Fernsehprogramme gab und die Kinderstunde, wenn überhaupt, nur einmal am Tag lief, als wir uns keine Gedanken über Bildschirme oder Smart-phones machten. Unsere Tage waren voller Bewegung, ohne dass wir es „Sport“ nannten – Rennen über Felder, Klettern auf Bäume, ein ständiges Kommen und Gehen an der frischen Luft. Eine einzige Süßigkeit am Tag war etwas Besonderes, nicht die Regel. Abends fielen wir müde ins Bett, erschöpft vom Spiel und vom Leben. Es war ein Leben in Balance, ein Rhythmus, den ich heute oft vermisse.
Meine kindliche Unbeschwertheit kehrt zurück. Es ist, als würde die Freiheit, die ich als Kind kannte, wieder an meine Seite treten, sanft, aber bestimmt. Und ich erkenne, dass diese Freiheit nie ganz verschwunden war – sie hat nur darauf gewartet, dass ich sie wieder einlade und mich daran erinnere, wie es sich anfühlt, wirklich zu leben.
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Viel Freude beim Lesen! Herzlichst Lena
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